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Seebad Schweineschwänzchen

 

Seebad Schweineschwänzchen

von

Hugo Darm

 

Verlag moderner Lektüre
G.m.b.H.
Berlin.S.O.26. Elisabethufer.44.

 

Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1921 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO. 26.

 

 

1. Kapitel

Frau Amalie von Tschißlow.

Meine liebe, dicke Wirtin Frau Schnittloch sagte, ich müßte unbedingt ausspannen; ich sähe abgearbeitet aus, sei nervös und ‚krötig‛, womit sie ‚gereizt‛ meinte.

Sie mochte recht haben. Ich hatte seit Mai des Jahres 1920 bis Juli nur am Schreibtisch gesessen, um Vater zu werden, Vater meiner ungeratenen Musenkinder, die als Kriminalromane dann verschlungen werden. Das heißt: ‚nur am Schreibtisch gesessen‛ ist natürlich eine dichterische Übertreibung. Geschlafen habe ich auch. Und manchmal hatte ich auch wo anders gesessen, wo jeder mal sitzen muß. Früher, als es in Deutschland noch Könige und Fürsten gab, nannte man diesen Ort mit einer sinnigen Umschreibung: ‚Wo selbst der König keinen anderen hinschicken kann –’

Mutter Schnittlochen erklärte bei dieser Gelegenheit:

„Wenn Sie mich mitnehmen, Herr Darm, und ich bekochte Sie in der Sommerfrische, dann wird’s gar nicht so teuer –“

Das war ein glorioser Gedanke. Ich war an die Schnittloch-Küche gewöhnt, und mit Hilfe von Pensions- oder Hotelfraß mein Bäuchlein wieder zu verlieren, daß mich so viel Geld gekostet hatte, dazu hatte ich gar keine Lust. –

Sie finden sicherlich die Namen ‚Schnittloch‛ und ‚Darm‛ sehr merkwürdig. Bitte, es gibt noch ulkigere! Zum Beispiel ‚Greulich‛. Heißt man so und ist man auf einer langweiligen Abendgesellschaft, dann kann es einem passieren, daß man mit einer leichten Verbeugung leise zu einem fremden Herrn ‚Greulich‛ sagt und sich nur vorstellen will, der andere aber denkt, man kritisiere die Gesellschaft und daher im Bruston der Überzeugung entgegnet: ‚Zum –!‛

Im übrigen sollten Ihnen die beiden Namen, der Gemüse- und der Eingeweidename nicht mehr fremd sein. Ich habe ja in ‚Schiebermietze‛, wie der Berliner sagt, genügend ‚auseinandergepolkt‛, was es mit diesen Namen auf sich hat.

Um zu der Sommerreise zurückzukehren: Ich zählte zunächst mal meine Moneten. Dann stülpte ich meinen Filz auf, fuhr fünfzehn Minuten mit der Elektrischen, wanderte noch zehn Minuten zu Fuß, kletterte endlose Treppen empor und war im Bureau meines Verlegers, wo mich die holde Vorsteherin mit der Botschaft empfing, der Herr und Gebieter seit gestern aus der Sommerfrische braun wie ein Somalier und glänzender Laune heimgekehrt.

Die glänzende Laune war mir die Hauptsache. Ich wurde also in Xaver Schulzes Allerheiligstes eingelassen, setzte eine Miene auf, als hätte ich Rizinus eingenommen, sank in einen Sessel und stöhnte:

„Ich bin total fertig. Ich muß ausgespannt werden.“

Denn aus eigener Portemonnaiekraft konnte ich nicht ausspannen. Das hatte mir daheim meine Kasse verraten.

Nachdem Xaver Schulze mir die Hand gequetscht und die übliche Zigarre aus der ‚eigenen‛, nicht der Gäste-Kiste angeboten hatte, fragte er kurz:

„Wieviel?“

Er liebte es, sich klar auszudrücken.

Ich auch.

Ich sagte ebenso kurz: „Tausend.“

Seine holden, braunen Züge umwölkten sich den Bruchteil einer Sekunde. Dann nickte er, ging an den Tresor und reichte mir die Lappen hin. Ich schrieb eine Quittung. Die Sache war erledigt – und ich hatte tausend Mark Vorschuß.

Alles war aber noch nicht erledigt.

„Lieber Xaver,“ bat ich, „geben Sie mir eine Bescheinigung, daß ich als Schriftsteller auch unter dem Pseudonym ‚Werner v. Bleihof‛ schreibe. Ich habe mir in der Straßenbahn überlegt, daß ich nach dem großen Seebad Schweineschwänzchen gehen will. Ich möchte dort die neuen Reichen, insbesondere die Schieber, studieren. Wenn ich als ‚Darm‛ in diese Kreise eindringen will, habe ich wenig Aussicht. Darm klingt nicht besonders schön. Das gebe ich ohne weiteres zu. Bei zartbesaiteten Damen kann ‚Darm‛ ein Erröten hervorrufen. Ob Schieberdamen so zart besaitet sind, glaube ich zwar nicht. Aber als Werner v. Bleihof wird die Bande mich dem Adel zurechnen, zumal ich in Schweineschwänzchen Monokel und Hemden mit Adelskrone tragen werde.“

„Hemden?“ fragte Xaver verwundert.

„Ja – tragen Sie etwa die Weste auf dem bloßen Leid und oben nur ein ‚Brettchen‛ alias Schemisett[1]?“

„Nee, – ich meine das anders, Därmchen. Wie kommen Ihre Hemden zu einer Adelskrone?“

„Weil ich sie, noch ganz neu, von der Mutter eines gefallenen Offiziers gekauft habe, Wilhelm von Bewitz, – ebenso Taschentücher, Unterhosen usw.“

„Aha!“ machte Xaver, tunkte die Feder ein und schrieb auf einen Bogen mit Firmenaufdruck das Gewünschte, unterschrieb es auch, und drückte den Stempel darunter.

Nun konnte ich mich getrost in Schweineschwänzchen in den Adelstand erheben. Wir Schriftsteller dürfen Pseudonyme führen. Was dabei herauskommt, wird der Leser bald sehen.

Nachdem Xaver mit mir noch Geschäftliches gesprochen hatte, verabschiedete ich mich, nahm noch wie aus Zerstreutheit aus der offenen Kiste drei Zigarren, ärgerte mich innerlich schlagrührend, daß ich nur tausend dem lieben Xaver locker gemacht hatte, ging durch das Bureau, scherzte noch mit der Vorsteherin, die heute aber etwas unzugänglich war, und fuhr heim.

Frau Schnittloch empfing mich zum Mittagessen mit ‚Aal grün‛, – meinem Leibgericht.

Nachmittags wurde gepackt, eingemottet, geklopft und so weiter.

Ich floh vor diesem Lärm und Gestank ins Cafee ‚Josty‛.

Nun wird der Nichtberliner Leser wissen, daß ich in Berlin daheim. Denn das Cafee ‚Josty‛ an Potsdamer Platz kennt selbst der entfernteste Provinzler.

Zur Übung trug ich jetzt schon Monokel, hatte auch das grüngemusterte Seidentüchlein so aus der Brusttasche kokett herausgezogen, daß gerade der Zipfel mit der Adelskrone und dem ‚W. v. B.‛ herauslugte. Krone und Monogramm waren in goldgelber Seide gestickt.

Ich fand einen leeren Tisch. Im übrigen war die Terrasse gerammelt voll. Linde Julilüfte umwehten mich hier: Der übliche Benzingestank.

Ich stänkerte also mit einer Zigarette gegen diese Düfte an, ‚schlürfte‛ meinen Eiskaffee und aß sechs Stücke Napoleontorte. Kunststück: Mit tausend Mark Vorschuß!

Dann begann ich wie immer Studien zu machen.

Bei ‚Josty‛ kann man das famos. Man kann auch Bekanntschaften machen, denen man auch ewige Liebe und Treue für acht Tage schwören kann, falls nicht die Geschäftsreise des Herrn Gemahls längere oder kürzere Zeit dauert.

Ich war damals total unbeweibt, – total. Nun Mutter Schnittlochen stellte das weibliche Element in meiner Daseinsführung dar. Und Mutter Schnittlochen wiegt einhundertzweiundneunzig Pfund und macht keinerlei Ansprüche mehr – auf Schönheit, Taille, Liebe und so weiter.

Ich hatte also nicht mal eine Privatsekretärin. Und eine solche Dame haben doch alle unverheirateten Kollegen. Die verheirateten möchten eine haben, dürfen aber nicht, oder doch nur eine über fünfundvierzig Jahre. Und die sind für Schriftsteller unbenutzbar, weil man ein Wesen zum Stenographieren und Tippen haben muß, das einen durch jugendliche Frische anregt. Wie soll man einer Jungfrau, die absolut ernüchternd wirkt, eine Liebesszene diktieren?!

Ausgeschlossen!

Aber – ich hatte eine Privatsekretärin gehab. Sogar eine sehr hübsche, sehr vielseitige. Sie konnte unter anderem Namen täuschend ähnlich nachschreiben. Doch das weiß der Leser ja alles aus der vorigen Geschichte.

Diese verflossene Privatsekretärin hatte mir den Appetit auf eine Nachfolgerin gründlich verdorben. Immerhin will ich damit nicht sagen, daß ich mit meinen fünfunddreißig Jahren, meinem Monokel, meinen seidenen Socken und so weiter Weiberfeind bin. Im Gegenteil: Ich war damals auf der Suche nach dem dauerhaftesten aller Verhältnisse; nach einer Braut, die dann auch natürlich meine Eheliebste werden sollte.

Die Schwierigkeit bei der Suche nach diesem Juwel war nur die, daß ich Ansprüche stellte, sogar sehr große Ansprüche.

Hübsch muß sie sein, und reich muß sie sein,

Und im übrigen so recht zart und fein;

Und die Schwiegermutter denk’ ich mir als Engel,

Ich dummer, anspruchsvoller Gigerlbengel –

Das ist nicht von mir. Das ist aus einer Posse, die ‚Die Kaltwasserkur‛ heißt.

Na – warten Sie nur ab. Für mich wurde Schweineschwänzchen auch eine Kaltwasserkur –

Ich saß also bei ‚Josty‛ und machte Menschenstudien. Dann schrak ich ordentlich zusammen. Vor mir tauchte eine keuchende, japsende Fettmasse, in ein Seidenkleid gezwängt, auf und fragte mit einer lächerlich piepsenden Stimme:

„Die Stühle sind wohl frei?“

Ich verbeugte mich sehr knapp. Diese ‚schwerste Dame der Welt‛ störte mich. Ich war wütend. Ich kann dicke Menschen nun mal nicht leiden. Ich wollte schon den Kellner herbeirufen, – da –

Da ereignete sich das Ungeahnte, Wundervolle, Märchenhafte:

Die Dicke hatte sich gesetzt, wobei der arme Stuhl ein paar klägliche Töne von sich gab. Und nun wurde hinter der Dicken ein liebliches Wesen sichtbar, das durch den Fettkloß meinem Monokel bis dahin völlig entzogen worden war.

Ach – nie sah ich so etwas zart Jungfräuliches, etwas so Holdes wie dies –

Tatsache! Sie können mir das glauben. Als Schriftsteller hat man doch seine Erfahrungen – und nicht zu knapp!

Ich war auf den ersten Blick ganz hin. Und – diese liebliche Juliblüte nahm neben dem Fettkloß Platz. Ich grüßte, rückte mein Tablett zurück, den Aschbecher, machte für die Damen Platz.

Daß es Mutter und Tochter waren, erfuhr ich dann sofort –

„Ilse, was möchtest du genießen?“ fragte die Dicke, die Ohrgehänge und einen Brillantanhänger und Ringe und Brilliantarmbänder trug, deren Gesamtwert, falls echt, sich auf etwa eine Million Papiermark beziffern mochte. –

Falls echt! – Aber – diese Fülle von Edelsteinen konnte nicht echt sein. Unmöglich! –

Diese Frage nach den Wünschen Ilses war in einem Ton an die Liebliche gerichtet, der bei der piepsenden Stimme des verfetteten Halses noch geschraubter klang.

Ilse erwiderte: „Eis, Mama, bitte –“

Oh – dieses Organ! Was war ein Cello dagegen?! Ein Nichts – der Baß eines versoffenen Kavalleriewachtmeisters! –

Hm – ein Cello hat ja auch eine Baßseite. Aber die meine ich nicht. Ich meine das Weiche, Schmelzende, Schluchzende, Schmiegsame der Töne dieses Instruments.

Ich war aufs Neue hingerissen – ich segnete Mutter Schnittlochen, die mich mit ihrem Mottenpulver aus meinem Heim verjagt hatte.

Die Mama bestellte für sich Schokolade und nach einem Blick auf meine Napoleonschnittchen ebenfalls Napoleonschnittchen.

„Mama!“ hauchte da Ilse sanft.

Weshalb dieses vorwurfsvolle ‚Mama!‛? –

Ah – die Aufklärung kam sofort –

„Nur heute, Ilse – morgen trinke ich dafür eine ganze Flasche Hunyady Janos[2] –“ piepste die Mama.

Ach so! Ilse wollte nicht, daß die Mutter sich noch mehr aufmästete. Und diese bereits aufgemästete Mutter wollte die Schokolade und die Napoleonschnittchen durch das bekannte Abfuhrwasser wieder wettmachen.

Ich nahm eine Zeitung zur Hand. Aber über den Rand schielte ich des Öfteren zu Ilse hin. Sie war sehr geschmackvoll angezogen. Nur trug auch sie an den Lilienfingern[3] zu viel Ringe und am Hals einen etwas protzigen Brillantanhänger an Platinkettchen mit zwei Perlen als tief in den Ausschnitt hinabfallende Tropfen. Glückliche Perlen! An dieser holden Brust zu ruhen, mußte Götterwonne sein!

„In München waren die Napoleonschnittchen besser, als wir im Mai von Tutzing aus dort waren,“ flötete die Mama in ihrer etwas unnatürlichen Redeweise.

Tutzing! Ah – Starnberger See! Kannte ich! Ich hatte ja selbst mal in München studiert –

„Hoffentlich gibt es in Schweineschwänzchen guten Kuchen,“ fügte die Fette hinzu.

Und die Nette meinte: „Warum nicht, Mama?! Es ist doch ein großes Bad.“

Ich hätte beinahe gejodelt vor Gaudi! Himmel – Mutter und Tochter wollten nach Schweineschwänzchen! Das war ein – ein reiner Wink des Schicksals!

„Ich wäre lieber nach Norderney gegangen,“ sagte nun die gefräßige Mama ziemlich laut. „Dort an der Nordsee ist es feiner. Aber wenn man schon den Winter in Meran und das Frühjahr in Bayern zugebracht hat, dann will man doch nicht nochmals so weit von der eigenen Villa weg –“

Hm – aha! Also so ‛ne Couleur war das! Schade! Diese Protzerei war ekelhaft, zumal all das so recht deutlich für mich, den Tischnachbarn, gesagt wurde.

Ilse schwieg dazu und errötete – Sie hatte also das richtige Empfinden, daß die teure, dicke Mama sich hier wenig fein benahm, obwohl sie doch die Nordsee feiner fand –

Dieses Erröten versöhnte mich etwas. Die schlanke, blonde Tochter schien also etwas kultivierter als ihre glitzernde Erzeugerin zu sein –

Dann merkte ich etwas anderes: Der liebe Mama Augen fixierten meine linke Brustseite! Taten das sogar derart durchdringend, daß ich auf allerlei Vermutungen kam –

Sollte mir eine vollgesogene Wanze auf dem Rock entlangkriechen?! Sollte ein Vogel sich dort verewigt haben? Oder – oder – ja, was zum Teufel stierte die Dicke denn da fortwährend nach meiner linken Brust? Wollte sie etwa durch den Stoff hindurch mein Herz oder meine Lunge prüfen?!

Da – endlich die Erleuchtung: Der Taschentuchzipfel! Das Monogramm mit der Krone! Das war’s!

Hm – ich fühlte mich mit einem Mal! Kunststück: adlig! –

Und – ich hieß doch Hugo Darm – zum Niesen war das! –

„Wie lange mag man wohl im Auto bis Schweineschwänzchen fahren?“ fragte die Mama wieder. „Unser Auto ist ja ein Kilometerfresser, aber ich denke – sechs Stunden werden wir doch brauchen –“

Ilse nickte nur wieder und schaute nicht auf. – Armes Kind! Dir fällt die Mama eben genau so auf die Nerven wie mir –!

Mein Taschentuchzipfel war nun erledigt. Jetzt kam ich heran. Die Dicke musterte mich wie ein Pferd, das man kaufen will –

Na – ich konnte mich schon sehen lassen. Ich war gut in Kluft. Sogar sehr gut. Ich bestellte mir einen Eiskümmel, putzte meinen Scherben und – fing den ersten Blick von Ilse auf.

Ach – hatte die wunderbaren grauen Augen! Hm – eigentlich waren sie so etwas verwaschen. Aber – es lag so viel Unschuld darin – dachte ich damals!!

Die Fette ließ plötzlich das goldene Handtäschchen vom Schoß gleiten. – Absicht natürlich!

Ich bückte mich –

„Bitte sehr, gnädige Frau –“

„Herzlichen Dank, mein Herr,“ piepste sie und lächelte mich an. „Diese echt goldenen Taschen sind so glatt.“

„Ja, – glatter als silberne – und teurer!“ sagte ich verbindlichst.

„Ganz recht. Silberne sind auch nicht schick, nicht wahr?“

„Nein. Das schickste sind jetzt in New York solche aus Stahlgeflecht mit dem Monogramm in Brillanten auf beiden Seiten, das Monogramm recht groß,“ log ich und feixte innerlich wie ein Satan.

„Nee – was Sie sagen!“ rief die Gnädige. Und verbesserte sich, knallrot werdend: „Nein, – nicht möglich! Stahlgeflecht?!“

„Allerdings –“ –

Na, ich will hier nicht weiter anführen, wie diese geistvolle Unterhaltung weiterging und wie ich schließlich den Damen mich vorstellte als Werner von Bleihof.

Jedenfalls wurde nachher die dicke Mama ziemlich kaltgestellt und ich widmete mich nur Ilse.

Ilse war berückend bescheiden und harmlos. Meist sagte sie nur ‚Ja‛ und ‚Nein‛ und ‚Ach – ganz recht!‛ Die Unterhaltung war daher etwas schwierig. Aber ich redete das Blaue vom Himmel herunter und erwähnte so nebenbei, daß ich zum Vergnügen schriftstellere, und daß ich morgen früh ins Bad reisen wolle.

„Wie – nach Schweineschwänzchen?“ piepste da die Fette ganz selig. Und die Nette schaute mich lieblich-kindlich an und meinte:

„Welch ein Zufall!“ –

So wurde denn ein Wiedersehen im Ostseebad ‚Schweineschwänzchen‛ verabredet. Die Fette schrieb mir auf eine Visitenkarte die Adresse der Pension auf, wo die Herrschaften für vier Wochen vier Zimmer belegt hatten.

Dann verabschiedeten sie sich. Ich küßte der Gnädigen die Fingerspitzen, worüber sie direkt blaurot vor Wonne wurde. Ilse drückte ich nur die Hand. Und sie – drückte wieder.

Als sie verschwunden waren, las ich die Visitenkarte. Denn die Namen hatte ich nicht verstanden.

Ich war einfach sprachlos. Da stand:

Amalie von Tschißlow

Rittergut Tschißlow bei Güstrow

und auf der anderen Seite mit Bleistift:

Schweineschwänzchen

Pensionat Baronin von Stöckritz

Strandpromenade 20

Wirklich – ich war sprachlos. Das waren ja Standesgenossen! Das waren ja regelrechte ‚Vons‛! Und ich war doch nur – ein pseudonymer ‚Von‛!

Aber – die Dicke hatte mir doch erzählt, daß sie in Dahlem eine Villa hatten? Wie – sollte diese bescheidene Dame das Rittergut unterschlagen haben?! Das sah ihr so gar nicht ähnlich! Dann hatte sie eben nur vergessen, auch damit zu protzen –

Nun – in Schweineschwänzchen würde sich die Sache ja schon aufklären. Vielleicht gehörte die Visitenkarte auch gar nicht zu der Dicken –

Von Tschißlow –? Von Tschißlow –? –

Hm – die Fette hatte doch mein Taschentuch so fixiert! Gerade so, als ob die Krone ihr mächtig imponiere –

Nein – es konnte nicht die Visitenkarte der Dicken sein! Ausgeschlossen! Ich taxierte diese wandelnde Brillantenausstellung auf Kriegsschiebergattin. Und Ilses – ‚Bescheidenheit‛ hatte damit durchaus in Einklang gestanden –

Na – abwarten! Morgen war ja auch noch ein Tag –

 

 

2. Kapitel

Herr Rittergutsbesitzer von Tschißlow.

Sie werden ‚Schweineschwänzchen‛ vergeblich suchen.

Ich meine natürlich: auf einer Landkarte. – Im übrigen gibt es ja genug Schweineschwänzchen – auf dem Viehhof zum Beispiel, falls Sie noch keine gesehen haben sollten. Sie finden sie auf jener Seite des Leibes, die dem Kopf gegenüberliegt und die man – wobei einem das Wasser im Munde zusammenläuft – unterwärts auch Schweineschinken nennt.

Das Bad ‚Schweineschwänzchen‛ habe ich aus verschiedenen Gründen umgetauft. Ich mache keine Reklame für Neppanstalten – was ‚neppen‛ ist, dürfte Ihnen bekannt sein. Falls nicht: Es bedeutet dasselbe wie: ausziehen, ausflohen, ausmisten, begaunern und so weiter –

Mutter Schnittlochen und ich gondelten also gen Schweineschwänzchen. Wir kamen gegen elf Uhr vormittags an. Die Schnittloch blieb auf dem Bahnhof und bewachte unser Gepäck. Ich ging Wohnung mieten.

Ich war geradezu tränengerührt über die Bescheidenheit der Schweineschwänzler. Ich sage Ihnen: Preise forderte die Bande – Preise! –

Schließlich bekam ich zwei winzige Stübchen nebst Küche in einer engen Straße, aber mit Aussicht auf den ‚alten‛ Kurpark. Ich holte nun Mutter Schnittlochen ab.

Was ich dann mit meinen Vermietern, einer Witwe nebst Tochter, noch erlebt habe, geht auf keine Kuhhaut. Alles berechneten sie ‚extra‛: das Kochgeschirr, die Betten, die Bettwäsche, den Gaskocher – ein Wunder also, daß das unterm Dach gelegene WC ‚kostenfrei‛ war!

Mutter Schnittlochen stand schon am ersten Tag mit diesen beiden weiblichen Blutsaugern auf Hauen und Stechen. Aber: sie kriegte sie unter! Ihre Wiege hatte in Neukölln das Licht der Welt erblickt – nein, Mutter Schnittloch natürlich! Und die Neuköllner haben’s in sich, besonders mit dem Mundwerk.

Da kommt kein Schweineschwanz mit!!

Nachmittags war eine Bullenhitze. Ich hatte um fünf gebadet und lag nun im Sand und ließ mich braten. Ich wollte recht schnell ebenso braun werden wie Xaver Schulze –

In meiner Nähe stand ein Strandkorb. Darin saß eine blonde junge Dame mit ganz modernem Rock – wabenfrei also. Sie saß sehr zwanglos da.

Ich machte Studien. Sie machte gar nichts. Sie tat nur so, als ob sie las – höchstens machte sie ein sehr hochmütiges Gesicht, wenn unsere Blicke sich begegneten.

Dann kam ein dicker, kleiner Herr im weißen Leinenanzug durch den Sand gekeucht. Er schwitzte, daß er mir geradezu leid tat.

Ich muß diesen Herrn näher beschreiben. Er hatte einen graublonden Spitzbart, dicke Wulstlippen, sehr abstehende Riesenohren, sehr kleine Schlitzaugen, trug einen goldenen Kneifer, ging einwärts, – halt, wissen Sie auch, was das ist, einwärts gehen? Man nennt das auch: über die große Zehe schraggeln, oder ‚Entengang‛ –

Gekleidet war dieser Schwitzkünstler wie ein Jüngling von zweiundzwanzig Jährchen: aufgekrempelte Hosen, lilaseidenen Socken, gelbe Schuhe, lila Oberhemd, lila Krawatte mit Perle und total schweißdurchweichtem Kragen –

Dieser Lappen um den Hals und die Ohren verhunzten die ganze Erscheinung. Den Kerl sah man so auf tausend Meter den ‚neuen Reichen‛ an, zumal die Entenfüße von erstaunlicher Größe waren –

Gestatten Sie, daß ich Ihnen den Herrn hier gleich vorstelle:

Mein Herr Schwiegervater!

Das heißt: Dieses ‚Schwiegervater‛ müssen Sie mit gewissen Einschränkungen hinnehmen – na – Sie werden ja hören und staunen. –

Besagter Herr blieb vor dem Strandkorb der jungen, recht feschen Dame stehen und fixierte deren Wadengegend mit einer geradezu unerhörten Dreistigkeit. So frech war ich noch nicht mal gewesen!

Und die junge Dame, die übrigens sehr viele Ringe trug –? Was tat sie?!

Sie schüttelte nach einer Weile den blonden Kopf und – zuckte die Achseln.

Der Schwitzkönig brummelte nun plötzlich:

„Luna, mechst de dich nich jefälligst ‛n bißken anständiger hinsetzen!“

Aha – mir ging ein Licht auf; der Herr Erzeuger! Nur er konnte solches wagen –

„Möchtest du nicht wie ein gebildeter Mensch reden!“ war die scharfe Antwort.

Ich mußte feixen. Ich konnte nicht anders. Da traf mich ein Blick aus den Augen der Blonden – ein Blick!

Inzwischen hatte der Dicke, dem ich bereits den Namen ‚Watschelente‛ gegeben hatte, sich in den Sand fallen lassen, und das mit einem Seufzer der Erleichterung, als ob er nun hier vorläufig nicht wieder aufstehen würde. Er trocknete sich Gesicht, Stirn und Genick, befühlte seinen Lappenkragen und brummte wieder:

„Daß ich Ochse mich auch in dieses Lausenest schleppen ließ –!“

„Papa!“ Die junge Blonde beugte sich vor und flüsterte ihm etwas zu. Da drehte er sich nach mir um, musterte mich wütend und schnauzte darauf einen alten Mann, der die Strandkörbe mit seinem Hausiererkasten abklapperte, grob an:

„Überall dies Bettlerpack –! Scheren Sie sich zum –“

„Papa!“–

Da stoppte er ab.

Der Alte kam auch zu mir gehumpelt. Ich kaufte eine Schachtel Zündhölzer.

Und inzwischen war vor dem Strandkorb dort eine Händlerin mit Kirschen erschienen, große schwarze Herzkirschen –

Der Dicke gekaufte zwei Pfund. Sie kosteten ja auch nur pro Pfund zehn Mark –

Nun aßen Vater und Tochter Kirschen. Im Handumdrehen hatten sie die zwei Pfund vertilgt.

Schmatzend meinte der Watschelenterich: „Schade, wir hätten gleich mehr nehmen sollen. So’n Pfund is gar nichts –“

Das Paar interessierte mich. Ich hatte ja bereits einen Typ von Schieber kennen gelernt: Dagobert, dem ich bereits vorher eine dieser Erzählungen gewidmet habe. –

Hier hatte ich ein anderer Auflage vor mir: Also Achtung! Wir sind ja Schriftsteller!

Zunächst passierte nun nichts. Der Schwitzkönig rauchte eine Zigarre mit Leibbinde, ließ die Leibbinde natürlich dran, damit jeder auch sah, daß der Glimmstängel mindestens fünf Mark kostete.

Dann sagte er wieder sehr ungeniert im Auktionatorton:

„Mama und Ilse lauern noch immer vor dem Kurhaus auf den ‚Josty‛-Mann – Mama is rein verrickt nach dem Kerl –“ –

Er redete immer nur zur Hälfte als ‚gebildeter Mann‛. Nach zehn Worten fiel die Bildung stets unter den Tisch –

‚Josty‛-Mann?! –

Ich hatte natürlich aufgehorcht. Sollte etwa dieser Ohren- und Schwitz-Rekordbrecher der Herr Gemahl der Fetten sein –?

„Papa!“ hatte die Blonde wieder gemahnt. Ihr war der ‚Kerl‛ und das köstliche ‚verrickt‛ scheußlich unangenehm. Sie schielte nach mir hin –

Ich lächelte diesmal nur, feixte nicht.

Auf das ‚Papa!‛ knurrte der Herr Erzeuger ärgerlich:

„Herr Jott, – hab’ dich nich so, Lina!“

„Ich heiße Evi, Papa!“ brauste sie jetzt auf. „Dieses ewige Lina ist ja ekelhaft –“ Dann beugte sie sich erneut tiefer und flüsterte. Und wieder schaute der Enterich nach mir hin, rief jetzt:

„Herr, Sie haben wohl auch nichts Besseres zu tun, als nur andere Leute anzuglotzen –!“

Mich ritt der Deibel in dem Moment! Ich war ja stets ein gottbegnadeter Frechdachs gewesen –

„Ich glotzte Sie nicht an, Herr von Tschißlow. Ich warte nur auf Ihre Frau Gemahlin und auf Fräulein Ilse.“

Es war das ein Schuß ins Blaue hinein. Aber – es wurde ein Treffer –! –

Die Gesichter der beiden waren zu malen. Lina-Evi wurde feuerrot. Der Herr Erzeuger wurde blaurot –

Ich hatte mich erhoben, den Hut gezogen, kam näher, lächelte harmlos, verbeugte mich:

„Gestatten: von Bleihof –“

Mein späterer Schwiegerpapa und noch späterer Ex-Schwiegerpapa krabbelte keuchend in die Höhe, riß den hellen Filzhut ab und stotterte:

„Sehr anjenehm – sehr anjenehm. Det is wirklich –“

„Papa –!“

„Das ist wirklich eine Überraschung, Herr v. Bleihof. Meine Frau hat uns ja schon von Ihnen erzählt –“

„Josty-Mann –!“ meinte ich freundlich. „Ich mußte ja notwendig so einiges von Ihrer Unterhaltung anhören, Herr von Tschißlow. Nicht alles natürlich. Auch meinerseits ist die Freude groß, nun auch Ihre und Ihres Fräulein Tochter Bekanntschaft auf so besondere Art und Weise gemacht zu haben. –

Vielleicht gehen wir jetzt Ihre Frau Gemahlin begrüßen. Ich will mich natürlich den Herrschaften nicht aufdrängen. Falls Sie etwa –“

„Aufdrängen?! Aber mein lieber Herr von Bleihof! Keine Rede! Wir kennen hier ja kein Jebein – ich meine keinen Menschen. Also los denn – rinn in den Trubel!“ –

Frau von Tschißlow saß mit der holden Ilse dicht am Musiktempel auf einer Bank.

Unsere Begrüßung erregte einiges Aufsehen, da die Fette so tat, als wäre ich mindestens ihr eigener Sohn und nach Jahren der Abwesenheit aus der Fremde zurückgekehrt. Ilse wurde sehr rot. Nein – war das süße Kind nur bescheiden! Sie wußte vor Verlegenheit gar nicht, was sie anfangen sollte. Aber trotzdem war sie entzückend; so lieblich, so taufrisch; so recht eine unberührte Rosenknospe.

Wir nahmen nun Platz. Ich mußte mich zwischen Ilse und Frau Amalie setzen: Man hielt mich für einen brauchbaren Schwiegersohn!

Die Unterhaltung wurde von der gnädigen Frau geführt. Es war aber ihrerseits mehr eine Aufzählung dessen, was die Familie besaß und was sie sich schon geleistet hatte und noch leisten konnte. Das heißt: Unter ‚geleistet‛ kann man auch Taktlosigkeiten verstehen. So ist das nun nicht aufzufassen. Nein – Frau Amalie war nur ihrerseits taktlos, als sie mir allzu deutlich machte, wie reich sie seien.

Und die beiden jungen Damen?! – Denen war diese Protzerei sichtlich nicht ganz angenehm. Sie schwiegen meist. Nur Herr Gustav von Tschißlow streute hin und wieder ein Wort in die Unterhaltung ein, regulierte sozusagen die Preise. Als Frau Amalie den Kaufpreis des neuen Tourenautos mit einhundertfünfundsiebzigtausend Mark angab, fragte er:

„Ja – Hundertfünfundsiebzigtausend für die Steuerbehörde. In Wahrheit waren’s Zweihundertfünfundzwanzigtausend. –“

Ich wußte nicht recht, was ich aus den Leuten machen sollte. Schieber?! – Hm – dagegen sprach das Rittergut, von dem Frau Amalie betonte, daß es schon fünfhundert Jahre in der Familie sei. –

Also alter Landadel? Unmöglich! Dazu war die Gesellschaft zu ‚frisch lackiert‛. –

Na – mit der Zeit würde ich’s ja schon herauskriegen, was eigentlich dahinter war. –

Nachdem Frau Amalie mir klargemacht hatte, daß man zu den bestsituierten Familien gehörte und daß Ilse daher eine glänzende Partie sei – Ilse hatte bei diesem unter Thema züchtig in den Schoß geschaut – wurde ich wie eine Zitrone ausgequetscht, das heißt nach meinen Familienverhältnissen befragt. Ich beschrieb alles der Wahrheit gemäß diesem weiblichen Untersuchungsrichter. Am meisten imponierte Frau Amalie offenbar der Onkel Landgerichtspräsident und der Vetter Rechtsanwalt mit der Riesenpraxis.

Daß ich nur Hugo Darm von Hause aus als ehrlichen Namen mitbekommen hatte, verschwieg ich. Ich fühlte ja heraus: für diese Gnädige begannen die verkehrsfähigen Leute erst mit den ‚von‛. Warum sollte ich den Herrschaften also die Freude rauben, eine adlige Bekanntschaft gemacht zu haben?

Es wurde sieben Uhr. Ich wollte mich verabschieden. Ich hatte erzählt, daß ich meine Wirtschafterin mitgebracht hätte, weil ich Hotelküche nicht vertrüge.

Ich vertrug sie ja wirklich nicht – nämlich meine Börse war dem nicht gewachsen. Mein Magen sehr wohl!

„Nee, mein lieber Herr von Bleihof,“ meinte Gustav von Tschißlow da. „Sie sind heute abend mein Gast. Wir soupieren im Kurhaus in der Weinabteilung – keine Widerrede, mein Lieber. Vorwärts – immer rinn ins Vajniejen –“

Ich sah, daß die Fette dem Herrn Gemahl einen wütenden Rippenstoß versetzte. Die Nette errötete und flüsterte der älteren Schwester Evi-Lina etwas zu. –

Es waren nur diese beiden Kinder vorhanden. Auch das hatte mir meine teure spätere Ex–Schwiegermama unter die Nase gerieben –

In der Weinabteilung spielte eine gute Kapelle. Das Kurhaus in Schweineschwänzchen ist eine Sehenswürdigkeit. Die Speisenkarte dort war es auch, besonders was die Preise betraf. Es war alles, was die Zunge nur begehrte, sogar Austern.

Man stelle sich vor –: Im Juli Austern!

Papa Tschißlow überließ mir die Auswahl der Weine und die Zusammenstellung des Menüs –

„Mein Lieber, – ich tue aus Prinzip nischt, selbst das nicht,“ sagte er in seiner jovialen Art. „Ich mechte nur bemerken, daß es uff Jeld nich ankommt. Also nu los. Nu zeigen sie mal, was Sie kennen –“

‚Na warte!‛ dachte ich. ‚Dir sollen die Augen schon tränen –!‛

Und ich notierte als Eingangsgericht Austern, dazu Königinsuppe, Hühnerfrikasse, Kalbschnitzel mit Gemüse, Rinderfilet, gezuckerte Früchte, Eis, Mokka. –

Als Wein vier verschiedene Sorten. Zum Schluß Sekt.

Dann ging’s los. Drei Kellner bedienten uns. Ich kam mir wie der Fürst von Monaco vor. Der Kurhausdirektor erschien, bücklingte und fragte, ob die Damen besondere Wünsche für die Kapelle hätten.

Ilse, die rechts von mir saß – das hatte Frau Amalie wieder so befingert – und ich stellten ein Programm zusammen. Alles Walzer und moderne Gassenhauer.

Die Austern wurden serviert.

Ich freute mich diebisch, als die Herrschaften sämtlich warteten, bis ich die erste Auster präpariert hatte und mit Zitrone beträufelt verschluckte.

Ich freute mich noch diebischer, als ich deutlich sah, daß die Herrschaften so ‘ne Dinger noch nie genossen hatten und daß sie sie nun mit Todesverachtung hinabwürgten.

Aber – Frau Amalie war trotzdem so frech und piepste: „In Tirol, in Salzburg waren die Austern besser und doppelt so groß –“

„Dann hat man Sie bemogelt, gnädige Frau,“ sagte ich. „So große Austern gibt es nicht. Dann hat man Ihnen in Salzburg sicherlich Zwergschildkröten vorgesetzt, die in Tirol wie Austern aussehen –“

„Empörend!“ meinte Frau Amalie.

Ein so fideles Austernessen wie dieses hatte ich noch nie mitgemacht. Die Herrschaften würgten jeder nur zwei hinunter. So blieb denn für mich der Rest. Papa Gustav ließ sich sofort einen Kognak bringen. Er machte ein Gesicht, als wollten die Dinger wieder raus aus dem Magen.

Im übrigen aßen die Leute aber sehr manierlich. Bis auf Papa Gustav, der sich hin und wieder vergaß und schmatzte wie ein rosiges Ferkelchen am Trog.

 

 

3. Kapitel

Die ersten Küsse.

Ach – jener Abend damals! Das liegt nun alles beinahe ein Jahr zurück. Beinahe verspüre ich Sehnsucht nach diesen Stunden; beinahe auch nach Ilse –

Doch – weiter im Text. –

Die Stimmung bei Tisch wurde immer zwangloser. Beim Sekt nannte Papa Gustav mich schon ‚Bleihofchen‛ und erzählte Witze – Witze!

Frau Amalie glühte wie ein eiserner Ofen. Sie hatte alle Rücksicht auf ihre wachsende Leibesfülle vergessen. Sie aß vier Portionen Vanilleeis. Die Mädels glühten auch. Evi-Lina poussierte schamlos nach dem Nachbartisch hinüber, wo ein paar Marineoffiziere saßen. Ilse war ganz mein – wir waren bald im Stadium der geflüsterten Vertraulichkeiten. Sie schüttete mir ihr Herzchen aus.

Nee – war das bloß ein harmloses Gemüt! Ich hätte beinahe ‚Gemüse‛ geschrieben – ach – und nachher?! Nachher, als mir beide Augen kuhaugengroß aufgingen! Da habe ich zu mir gesagt: ‚Hugo, du dämlicher Esel, du hast dich wahrhaftig von diesem gesiebten Rackerchen einwickeln lassen – du mit deinen Erfahrungen!‛ Zum Glück habe ich mir diese Standpauke zur rechten Zeit gehalten. Sonst –!

Mit einem Mal merkte ich, daß Papa Gustav auffallend still wurde. Und zwar kurz nachdem ich zwei Herren durch eine Verbeugung begrüßt hatte, die dicht an uns vorübergekommen waren und dann an einem nahen Tisch Platz genommen hatten. Es waren Berliner Bekannte von mir, sehr wenig intime Bekannte; nur so auf Grüßfuß stand ich mit dem Rechtsanwalt Gitschiner und dem Regierungsrat Mamloch.

Gustav verstummte also. Als Frau Amalie ihn fragte:

„Was fehlt dir denn? Is dir auch so komisch im Magen nach den Austern? Sie müssen nicht mehr ganz frisch gewesen sein –“

Papa Gustav winkte ab.

„Nachher, Frauchen –“

Ich merkte, er fühlte sich hier nicht mehr recht behaglich. Und nach einer Weile schlug er vor, noch in ein Cafee zu gehen.

Es begann nun die Berappungsarie. Dabei kam so recht zum Ausdruck, daß Papa Gustav ein guter Familienvater war. Er hielt das Geld zusammen. Der Kellner hatte sich aus Versehen bei der Zeche um fünfundsechzig Mark verrechnet – natürlich nicht zu seinem Nachteil. Solche Versehen gibt es nicht. Papa Gustav hatte wie ein Luchs aufgepaßt.

„Lieber Freund, det stimmt nich – neunhundertfünfzehn und fünfundachtzig sind nach Adam Riese noch immer tausend und nicht tausendfünfundsechzig. –

Na – trotzdem, hier – det is für Sie –“

Er gab hundert Mark Trinkgeld.

Wir brachen auf. Leider stellte sich heraus, daß Frau Amalie nicht mehr ganz sicher auf den Stelzen war. Ich reichte ihr daher den Arm. Es war nicht ganz einfach, sie unauffällig ins Freie zu lotsen. Sie hing an mir die vier Mehlsäcke, Stück zu zwei Zentner. Ich bekam schon beinahe einen Krampf in den Muskeln des rechten Armes.

Dann begann im Cafee ‚Splendid‛ der zweite Teil des Abends. Das elegante Cafee mit der übermodernen Einrichtung und dem offenbar halb wahnsinnigen Primgeiger – der Kerl drohte jeden Augenblick aus dem Frack zu springen oder sich das Rückgrat zu verrenken – war nur mäßig besetzt, weil hier nur das Feinste vom Feinen verkehrte und die Preise ganz danach hochgeschraubt waren.

Wir nahmen in einem lauschigen Winkel Platz. Papa Gustav taute wieder auf, bestellte trotz Widerspruchs der Damen Sekt und beeilte sich, in dasselbe Stadium zu kommen, in dem seine dickere Hälfte sich schon befand.

Die Damen tranken Eisschokolade. Aber – hier war’s nun wieder die Gnädige, die mit einem Mal verstummte. Weshalb – merkte ich erst später. Auch Ilse war jetzt stiller. Das intime Flüstern hörte auf –

Uns bediente ein Kellner, der eine famose Figur hatte und ein sehr sympathisches Gesicht. Papa Gustav saß so, daß er dessen Gesicht nie sehen konnte. Aber – seltsam! – immer wenn der hübsche Mensch in der Nähe war, verstummten die drei Damen und wurden merkwürdig nervös –

Allgemach spürte ich nun auch den Alkohol im Schädel.

Als Papa Gustav mich einmal ‚Wernerchen‛ nannte, war ich frech genug, ihm mit:

„Na prost, Tschißlowchen!“

zuzutrinken.

„Mensch,“ meinte er da. „Sie sind ne Festnummer: so ‛nen vernünftigen Kerl wie Sie hab’ ich selten jefunden. Sehr selten! Meist ist die vafluchte Adelsbande ja so zujeknepft, daß man nich die Schnauze aufzumachen wagt –“

Er ging immer mehr aus sich heraus. Der Alkohol bewirkte, daß der Lack verschwand – das bißchen Kulturlack! –

Aha: Also doch Schieber! Er begann nämlich in Erinnerungen zu schwelgen – wie er noch vor vier Jahren mit Hammeln gehandelt habe, wo er dann durch den für ihn so glorreich verlaufenen Krieg – und so weiter.

Die gnädige Frau konnte ihm nicht mehr den Mund zuhalten. Aus dem einfachen Grund, weil sie inzwischen in ihrem Korbsessel selig entschlafen war. Und die Töchter?! Ja – die hatten jetzt fortwährend miteinander zu tuscheln –

Um elf Uhr war Lokalschluß.

Gustavchen hatte die bescheidene Summe von etwa sechshundert Mark zu bezahlen und hier nun bei dieser zweiten Berappungsarie kam es zu einem kleinen charakteristischen Zwischenfall –

Herr von Tschißlow erblickte das Gesicht des Kellners, stutzte –

„Wie – Sie hier?!“ rief er. „Wie – wie kommen Sie denn –“

„Papa!“ mahnte Evi–Lina.

„Schon jut!“ brummte er. „Da – da haben Sie sechzig Mark Trinkgeld! Diese Spelunke sieht mich nich wieder –“

Wir zogen ab. Frau Amalie hatte sich leidlich erholt und ging mit dem Herrn Gemahl und mit Evi-Lina voran.

Die holde Ilse und ich blieben immer weiter zurück. Ilse war jetzt ganz jungfräuliche Verschämtheit mit Anlehnungsbedürfnis –

Die Kurpromenade war leer. Und ich hatte etwa drei Flaschen Sekt intus. Sie war auch etwas beschwipst – etwas! Gerade so viel, daß ihre Lippen heiß und schmachtend waren.

Wir blieben im Schatten einer Selterbude stehen. Ich sprach kein Wort von Liebe. Ich zog sie einfach an mich. Da sagte sie nur zweimal:

„Nicht doch – nicht doch!“

Wenn Frauen ‚Nicht doch!‛ sagen, wird nun ein Predigtamtskandidat, der selbst im Sommer wollene Socken und Jägerhemden trägt, schüchtern. Ich habe nie Geologie studiert und trage auch im Sommer nicht Wollsocken. Also konnte ich auch nicht schüchtern werden.

Im Gegenteil: Ich habe Ilse bewiesen, daß ich das Küssen mit allen Schikanen verstehe.

Mir schien, sie verstand es auch – damals glaubte ich aber noch, ich müßte mich irren –

Diese taufrische Rosenknospe –! Nein – das war nur der Sekt – fraglos!

Dann verabredeten wir für morgen früh ein Wiedersehen im Familienbad – und dann küßten wir uns nochmals –

Als wir die lieben Eltern eingeholt hatten, sah uns auch Amalie so scharf und prüfend an. Dann lächelte sie selig –

Ich sah nun auch: Ilses Frisur war ganz gehörig ‚verruschelt‛, wie der Volksmund sich ausdrückt.

Wir sagten uns vor dem Pensionat gute Nacht.

„Bleihofchen, Sie sind morgen unser Mittagsgast,“ meinte Papa Gustav. „Mensch – keen Wort dagegen! Also um ein Uhr im Kurhaus, falls wir uns nicht eher sehen sollten –“

Ich ging heim. Es war ein so wundervoller Abend. Viel zu schade, um mit dem Bummeln schon Schluß zu machen.

Ich fragte einen Herren, ob denn hier in Schweineschwänzchen jetzt gegen zwölf Uhr gar nichts mehr los sei.

„Selbstmurmelnd! Kommen Sie nur. Ich bringe Sie hin. In der ‚Alosch-Diele‛ ist noch bis zum Morgen Mordsbetrieb –!“

Er stellte sich vor: „Meyer.“ – Natürlich kann er sich auch mit ‚i‛ statt ‚y‛ ausgesprochen haben. Das hörte ich natürlich nicht heraus, sondern erfuhr es erst später–: Meyer mit y!

Ich brummelte: „Bleihof –“

Und dann schwenkten wir nach rechts ab, kletterten in einen kleinen Keller hinunter und betraten ein Lokal, das sehr behaglich aus einem früheren Kartoffelkeller hergerichtet war. Es war nämlich sehr niedrig. Aber gemütlich. Ein bißchen heiß natürlich und rauchig. Dafür kosteten die Weine noch etwas mehr als im Kurhaus. Denn hier kriegte man ja Kunstgenüsse à la Brett’l verzapft.

Als Meyer und ich uns nun im Hellen zum ersten Mal genauer musterten, rief er:

„Himmel, Sie sind ja der Herr, der mir –“

Da stoppte er plötzlich ab.

Wir setzten uns.

„Fahren Sie fort, Herr Meyer,“ sagte ich dann. „Ich liebe nichts Halbes, weder bei Damen noch bei Ausrufen. Also – wie wollten Sie den Satz beenden?“

„Hm,“ meinte er, „dürfte ich nochmals um Ihren Namen bitten?“

„Bleihof, – Werner von Bleihof, Schriftsteller.“

„Ah – kenne ich! Von Ihnen ist die neue Film-Richtung gegründet worden – im Gegensatz zu den sogenannten Aufklärungsfilmen, – die Verdummungsfilme.“

„Stimmt. Allerdings höre ich diese Bezeichnung zum ersten Mal. Meine Absicht bei diesen Filmdramen war, die Menschen wieder auf den ursprünglichen Zustand herzreiner Naivität zurückzuleiten und –“

„Schon gut, Herr von Bleihof. Davon verstehe ich nichts. Besonders nichts von Naivität. Ich bin nämlich Reisender für eine Likörfabrik. Wir vertreiben jetzt einen neuen Magenschnaps mit Namen ‚Zeitgift‛, sehr zu empfehlen bei Anfertigung der Steuererklärung. Das Mogeln wird einem dann leichter. Das so nebenbei. Was den Satz angeht, den unvollendeten Satz: Ich sah Sie im Kurhaus mit Tschißlows zusammen. Welche wollen Sie heiraten? Anscheinend die Ilse?“

Ich bestellte zunächst einen Kognak. Dieser Meyer war mir etwas zu sehr Draufgänger. Da durfte ich nicht nüchtern werden.

Er bestellte Rotwein, gleich zwei Flaschen. Dann sagte ich: „Wie kommen Sie auf den Gedanken, daß ich Ilse heiraten will?“

„Weil ich Ihnen nachgeschlichen bin und die Szene hinter der Selterbude beobachtete, weil ich Tschißlows von früher her kenne und jetzt nicht mehr kenne.“

Ich hatte nun den Kognak intus. Meyer füllte die Rotweingläser.

„Ihr Wohl, Herr von Bleihof. – –

Ich war vor einem Jahr mit Evi verlobt.“

„Donnerwetter! Das freut mich! – Das heißt: Es freut mich deswegen, weil ich nun doch von Ihnen Genaueres über die Familie erfahren werde.“

Er schüttelte den Kopf. „Nie, mein Lieber, das werden Sie nicht. Das wäre eine Gemeinheit von mir. Und selbst Likörreisende haben Gemüt.“

Ich sann über seine Antwort nach.

„Meinetwegen ist Ihre Verlobung auseinandergegangen, Herr Meyer?“ fragte ich.

„Meyer!“ erwiderte er nur.

Ah – ich begriff! – „Also weil Sie ‚Meyer‛ heißen?“ meinte ich.

„Ja. Das ‚von‛ fehlte mir.“

„Tschislow sind also sehr adelsstolz?“

„Seit dem vorigen Herbst, seit sie das Rittergut kauften, mit dem die Berechtigung verbunden war, sich ‚von Tschislow‛ zu nennen. Das Gut heißt ‚Tschislowo‛.

„Und wie hießen die Herrschaften früher? – Daß er mal Viehhändler war, hat er mir schon im Sektdusel anvertraut.“

„Na – dann kann ich ja offener sein, Verehrtester. Der Gustav mit den Watschelbeinen muß schon janz toll betütet gewesen sein, daß er mit dem Viehhändler herausrückte. Im übrigen war er nur so ’n ganz kleiner Viehhändler. Die Familie wohnte in der Nähe von Potsdam. Die Lina war noch 1916 Verkäuferin in einer Konditorei in Potsdam. Dann hatte sie es nicht mehr nötig. Der Alte sorgte immer eifriger für die Volksernährung. Er ist ein Genie. Er soll der erste gewesen sein, der – doch nein, das will ich lieber für mich behalten.“

„Also Schieber –?“

„Nein.“

„Was denn sonst?“

„Hm – da ist es schwer eine Bezeichnung zu finden, Oberschieber, selbst Generalsschieber genügt nicht. Sagen wir: Generalfeldmarschallschieber!“

Nun mußte ich doch lachen.

„Lachen Sie nicht,“ sagte Meyer ernst. „Der Mann hat auch sehr schwere Zeiten durchgemacht, so im Jahre 1918. Aber dann kam die neue Ordnung der Dinge, und er konnte wieder aufatmen. –

Prosit – trinken Sie doch! – Haben Sie übrigens körperliche Kräfte?“

„Weshalb das nun wieder?“

„Na – Ilses wegen.“

Ich glotzte ihn verständnislos an.

„Trinken Sie doch, Herr von Bleihof –“

Ich merkte, daß er immer nach einem Tisch hinüberstarrte, der an einem Pfeiler stand. Dort saß ein einzelner Herr. –

Hm – das Gesicht kam mir sehr bekannt vor, sehr –

Dann die Erleuchtung: Es war der Kellner aus dem Cafee ‚Splendid‛, der hübsche Mensch, der Tschislows offenbar nicht angenehm gewesen war!

Der Kognak und drei Gläser Rotwein hatten mich bereits wieder in einen lieblichen Traumzustand versetzt – was ging es mich an, daß Papa Gustav Generalfeldmarschallschieber gewesen?! Ich war wirklich ein bißchen verliebt in Ilse. Ihre rührende Harmlosigkeit hatte es mir angetan. Die Küsse waren so taufrisch gewesen.

Ich döste vor mich hin. Meyer hatte Gesellschaft bekommen: eine der Brett’l-Künstlerinnen, eine spanische Tänzerin namens Iduna Rockefort. –

Das klingt wie Käse. Sie roch aber nach Patschuli und hatte großen Hunger. Ich glaube, sie aß fünf illustrierte Brötchen, pro Stück achtzehn Mark. Die achtzehn Mark sind mir noch deutlich in Erinnerung, weil die Brötchen so zierlich klein waren und weil das Stückchen Schinken darauf bereits tat stinken –

Ich verabschiedete mich dann von Meyer, bezahlte eine Flasche Rotwein mit fünfundsechzig Mark und konnte dafür nachher feststellen, daß dieses Essigwasser wenigstens ein Gutes hatte: Das kleine Loch in meiner Stiefelsohle war verschwunden. Das hatte die zusammenziehende Wirkung dieses Rotweins zu Wege gebracht.

Auf dem nächtlichen Spaziergang heimwärts merkte ich, daß mir jemand nachschlich. Es war so gegen zwei Uhr morgens, und der neue Tag meldete sich schon. An einer Straßenecke drückte ich mich in eine Haustür.

Ah – da kam mein ‚Nachfolger‛ schon herbeigeflitzt, blieb stehen, schaute sich wild um –

Ich erkannte ihn: Es war der nette Kellner aus dem ‚Splendid‛!

Er hatte einen dicken Spazierstock in der Hand. Ich hörte, wie er wütend flüsterte:

„Wo ist det Aas nur jeblieben?!“

Sollte ich das ‚Aas‛ sein? –

Ich wählte den besseren Teil der Tapferkeit, die Vorsicht, blieb in meiner Haustürecke stehen und wartete, bis er verschwunden war. Unangefochten gelangte ich in meine Neppbude und zog mich aus. Das Bett, das ich jetzt ja zum ersten Mal benutzte, war kein Bett, sondern eine Folteranstalt –! Die Matratze war offenbar von einem Müllberg aufgelesen. Abgesehen von ihren musikalischen Eigenschaften war sie so schräg, daß man dauernd in Gefahr schwebte, zum Bett hinauszukugeln. Nachdem ich mich eine Stunde mit dieser Matratze amüsiert hatte, legte ich die Betten auf den Fußboden. Und dort schlief ich auch wirklich ein.

Mutter Schnittlochen weckte mich um neun Uhr. Sie wunderte sich durchaus nicht, daß ich das Bett gemieden und auf bloßer Erde genächtigt hatte.

„Herr Darm,“ meinte sie, „ich bin ja das erste Mal in der Sommerfrische. Es wird aber wohl auch das letzte Mal sein. Mein Bett is ‛ne Flohbrutanstalt. Außerdem bin ich janz hüftlahm, so hart is ‛s – Herr Darm, Berlin is scheener –“

Ich mußte mich im Galopptempo anziehen, denn um zehn hatte ich mich ja mit Ilse im Familienbad verabredet.

Ich würgte das Frühstück hinunter, fand das Brot hier in Schweineschwänzchen geradezu jammervoll, hörte noch einen Teil des Rededuells zwischen der Schnittlochen und unseren Neppvermietern mit an und raste dem Familienbad zu.

Als ich unter den Kolonnaden entlangstürmte, wurde ich plötzlich angerufen: „Sie – mein Herr, einen Augenblick –!“

Es war eine junge Dame mit sehr kurzem Rock und sehr viel Stoffersparnis auch obenrum.

„Sie, mein Herr, Herr von Quietschloch läßt Ihnen sagen, Sie möchten doch in die ‚Bodega‛ kommen. Er sah sie vorbeirennen. Er muß Ihnen was Wichtiges mitteilen –“ –

So flötete die Bardame der ‚Excelsior-Bodega‛.

Was Wichtiges? Tschislow? –

Da half dann eben nichts –

Papa Gustav saß im Kreis der drei Bar-Jungfrauen in einem Klubsessel und – futterte – wundervolle Austern! Und drei leere Flaschen Schampus standen schon neben ihm.

„Bleihofchen,“ meinte er, mir die Pfote quetschend. „Bleihofchen – ich bin auf ’n Jeschmack jekommen. Mir war heite morgen ausjerechnet nach Austern zu Mute. – Setzen Sie sich – Wat – baden?! Quatsch! – Kinder, schließt die Tür ab. Sonst reißt er aus –“

„Herr von Tschislow, ich habe mich mit Fräulein Ilse verabredet,“ sagte ich würdevoll.

„Weiß ich. Um zehn. Dann kommt sie um halb zwölf. Früher sicher nicht. Ich jebe Ihnen mein jroßes Ehrenwort darauf. – Bleihofchen, seien Sie keen Frosch – die Austern sind jroßartig –“

Austern! Mir liefen sämtliche Gewässer der Welt im Munde zusammen.

Gustav siegte. Das Katerfrühstück begann. Die drei Bar-Jungfrauen, nette, frische Dinger, sorgten für Zerstreuung. Ich trank wenig. Die drei desto mehr. Um elf Uhr drückte ich mich. Tschislow nahm mir noch das Versprechen ab, seiner ‚Ollen‛ dieses Wiedersehen zu verschweigen.

Als ich mir an der Kasse eine Badekarte löste, traten auch Rechtsanwalt Gitschiner und Regierungsrat Mamloch heran. Ich grüßte. Sie schauten zur Seite, sahen mich nicht, – das heißt: Wollten mich nicht sehen.

Ich ärgerte mich wütend. Was hatten die beiden plötzlich gegen mich? –

Ich wollte sie schon zur Rede stellen. Aber – hatte das eine Zweck?! Ich kannte mich ja. Ich habe ein verflucht loses Handgelenk, und wegen zwei Ohrfeigen und eines sich daraus ergebenden Zweikampfes hatte ich schon einmal auf Festung gesessen.

Ich suchte mir eine leere Zelle und suchte dann, den Bademantel umgehängt, Ilse –

Und ich fand sie auch – genau um dreiviertel zwölf. Da kam sie über den Sand geschwebt – auch den Bademantel umgehängt –

Na – später im Wasser war ich etwas enttäuscht. Sie hatte doch noch etwas recht jugendliche Formen und X–Beine. Ersteres konnte sich bessern. Aber das ‚X‛ nicht. Das war ein Geschenk von Mutter Natur. Und solche Geschenke sind für ewig.

Immerhin war es ganz nett. Wir nannten uns natürlich ‚Sie‛. Ich fing damit sofort an. Denn ich konnte mir Amalie und Gustav noch nicht so recht als Schwiegereltern vorstellen.

Nach der großen Reinigung im Ostseeteich bummelten Ilse und ich nach der Westmole durch die Dünen.

Diese Dünen sind ideal. Wenn Schweineschwänzchen nichts als diese Dünen hätte, wäre es doch schön. Natürlich abgesehen von der neppwütigen Einwohnerschaft.

Diese Dünen können sicherlich mehr Liebesgeschichten erzählen als Maupassant je geschriebener. Sie bieten unzählige Verstecke. Der Strandhafer steht dort halbmannshoch. Und dieser Hafer säuselt im Wind, und drüben rauschen die Wellen.

Da wird einem ganz poetisch ums Herz –

 

 

4. Kapitel

Der anonyme Brief.

Wir setzen uns in den Sand. Ilse war heute etwas still. Aber – sie war wirklich taufrisch; sie hatte so einen ganz besonderen Charme –

Ich hielt mich für verpflichtet, nicht gerade wie ein Mummelgreis neben ihr zu hocken. Nach gestern abend hätte das albern gewirkt.

Ich rückte ihr näher –

„Kleine süße Ilse –“ flüsterte ich. Sie ließ sich auch küssen. Aber – es war etwas seltsam – Kühles in ihrer duldenden Zärtlichkeit – Gestern schien doch der Sekt das seine getan zu haben, um die Lippen so heiß zu machen –

Ich glaubte abermals, daß ich mehr für sie empfände als für eine der vielen Rosen, die an meiner Brust geglüht hatten –

Vielleicht reizte mich auch ihre Kälte, dieses gewisse Etwas, das man zuweilen bei ganz schlauen – Dämchen findet –

Ich zog alle Register meiner Künste auf. Ich deklamierte leise Heines bekannte Verse von der Prinzessin Ilse:

Komm’ mit nach meinem Schloß,

Wir wollen selig sein.

In meinen weißen Armen,

An meiner weißen Brust,

Da sollst du liegen und träumen

Von alter Märchenlust –!“

„Wie schön!“ seufzte Ilse.

„Hast du mich ein bißchen lieb?“ flüsterte ich.

Weiß der Himmel, wie es geschah, daß mich plötzlich der Verlobungskoller gepackt hatte. Ich malte mir aus, daß ich Ilse mir schon erziehen würde, daß sie ein bequemes Frauchen abgeben würde – und daß mag den Ausschlag gegeben haben. Unbequeme Frauen sind stets klug. Und klug war Ilse nicht. Das hatte ich längst gemerkt. Daß der Reichtum Papa Gustavs auch so etwas mitsprach, will ich reumütig eingestehen.

Kurz: Es war da plötzlich so ein Sammelsurium von Gefühlen, Gedanken und Hoffnungen in mir, die mich die Nachteile dieser Ehe – und das waren die lieben Schwiegereltern und deren Eigenheiten – total vergessen ließen.

Auf meine Frage hatte Ilse ein ‚Ja‛ gehaucht. Und dann gab es wieder Küsse, und dann sagte ich – und nie sagte ich was dämlicheres:

„Morgen halte ich um dich an, mein Liebling –“

Sie schwieg –

„Ich muß mir nämlich erst meine Smoking-Beinkleider aufbügeln lassen –“ fügte ich hinzu. „Bis morgen sind wir also – ein heimliches Brautpaar –“

„Ach ja –,“ flüsterte sie nur.

Hm – eigentlich benahm sie sich etwas komisch. Ohne Frage! Etwas mehr bräutliche Glückseligkeit hätte ich denn doch erwartet –

Mit einem Mal fühlte ich, wie sie in meinen Armen zitterte. Man sagt: wie Espenlaub! Aber dieses Zittern war ganz anders. Es war ein körperliches Erdbeben –

Besorgt schaute ich in das niedliche Gesichtchen.

Das war kalkweiß – und die Augen schwammen in Tränen –

„Liebling, was fehlt dir? Was –“

Da – da bemerkte ich uns gegenüber hinter der gelben Wand des Strandhafers einen Kopf – ganz verschwommen –

Ich sprang auf. Aber Ilse hielt mich fest –

„Bleib’ – bleib’ –!“ flüsterte sie. „Ich – ich fürchte mich so –!“

Der Kopf verschwand. Und natürlich war es jetzt auch mit der Verlobungsstimmung total Essig. Wir gingen also zurück nach der Kurpromenade. Dort war Konzert. Frau Amalie und Evi-Lina saßen auf einer Bank. Und in der Nähe saßen Gitschiner und Mamloch und lächelten so eigentümlich –

„Wo ist nur mein Mann?“ fragte die Gnädige dann. „Er wollte zum Masseur gehen. Nun ist er noch nicht zurück –“

„Keine Ahnung, gnädige Frau,“ log ich und dachte an die Bodega, wo Papa Gustav sich von drei Bar-Jungfrauen seine Börse massieren ließ –

Es wurde ein Uhr. Herr von Tschislow erschien nicht. Es wurde halb zwei. Er erschien noch weniger –

Frau Amalie ahnte jetzt wohl so ungefähr, wo er steckte. Sie war eine temperamentvolle Frau. Und sie machte ihrem Herzen mir gegenüber in einer Weise Luft, daß ich mir zuschwor: ‚Diese Schwiegermutter stellst du dem Onkel Präsidenten nie vor!‛

Um dreiviertel zwei hing mir der Magen bereits bis in die Kniekehlen. Gustavchen hatte mich doch zu Mittag eingeladen. Meine Schnittlochen wußte, daß ich nicht zu Tisch käme. Also was tun?!

Da erklärte Frau Amalie ganz von selbst:

„Nun gehen wir aber essen –!“

Und wir saßen wieder in der Weinabteilung des Kurhauses; ich mußte wieder ein Menü zusammenstellen, denn das Tagesmenü gefiel Frau von Tschislow nicht –

Wir fingen diesmal mit Kaviar an. Ilse saß neben mir; war so – so wie eine geknickte Blume, und hatte doch gar keinen Grund dazu –

Die Stimmung blieb flau. Frau Amalie sorgte sich um Gustavs Seelenheil. Einmal flüsterte sie mir zu:

„Herr von Bleihof – Weiberzicken! Ich kenn’ doch den ollen Sünder! – Na, laß er mir den man nach Hause kommen! Der wird was erleben –!“

Sie wurde dann immer gereizter, schnauzte den Direktor an, weil der Pudding angebrannt war –

Der Direktor dienerte und – lächelte – so dasselbe Lächeln, wie Gitschiner und Mamloch es gezeigt hatten –

Um halb vier hatten wir den Mokka hinter uns. Die Frauen wollten nun ins Pensionat und etwas ruhen. Ich sollte Papa Gustav suchen.

„Legen Sie doch bitte das Geld aus,“ meinte Frau Amalie. „Ich habe nicht so viel bei mir –“

Ich tat es gern. Ich dachte, ich würde es bestimmt wiederbekommen – ich dachte! Ich kannte Gustav Tschislow noch nicht –

Ich bezahlte: sechshundertundzweiundachtzig Mark; gab achtzig Mark Trinkgeld. Ich wechselte dabei Xaver Schulzes Tausendmarkschein – Xaver Schulze hat sich nachher schiefgelacht, als ich ihm die Geschichte erzählte.

Ich brachte die Damen heim. Ilse lief ins Pensionat und sah nach, ob der liebe Papa da sei. Er war nicht da. Also ging ich auf die Suche – direkt nach der Bodega.

Es waren nur noch zwei der Bar-Jungfrauen anwesend. Auf meine Frage, wo denn Herr von Tschislow stecke, erhielt ich ausweichende Antworten.

Trotzdem wußte ich Bescheid; ich stellte in Gedanken eine Verbindung zwischen der dritten Bardame und Gustavchen her –

Sie war falsch. Nämlich die Verbindung. Denn als ich die Bodega verließ, kam die dritte Jungfrau angeschwebt. Sie war offener, – ehrlicher meine ich.

Stellen Sie sich vor; der Rittergutsbesitzer von Tschislow hatte um ein Uhr seine Zeche begleichen wollen. Und da hatte er behauptet, es seien nur acht Flaschen Sekt und nicht zwölf getrunken worden. Und da hatte er in seiner totalen Besäuftheit mit dem Spazierstock Gläser und zwei Spiegel zerschlagen. Und da hatte ihn ein Polizeibeamter mit einer Droschke nach dem Polizeigefängnis gebracht –

In diesem im allgemeinen sehr wenig geschätzten Lokal fand ich ihn schließlich. Er schlief wie zwei Tote –

Was tun?! –

Ich erklärte den Beamten, daß der Herr in der Bodega den ganzen Sachschaden bezahlen würde. –

Aber: Papa Gustav war zu dem Polizisten rabiat geworden: der wollte Anzeige erstatten.

Ich weckte also das Unglückswurm. Zum Glück war er bereits leidlich nüchtern. Die beleidigte Würde des Beamten wurde durch ein Heilpflaster wiederhergestellt. Dann zogen wir los – nach der Bodega. Auch hier berappte Gustavchen alles, sogar die zwölf Flaschen Sekt.

Ich wette, es sind nur sechs getrunken worden.

Ich mußte ihm nun abermals feierlich versprechen, Frau Amalie gegenüber alles zu verschweigen. Wir verabredeten einen ganzen Roman, um die Gnädige hinters Licht zu führen.

Dieses Lügengespinst hier anzuführen, hat keinen Zweck, da wir damit glatt hereinfielen.

Die Ereignisse überstürzten sich nun geradezu. Ich kann all das nur andeuten und nur die Hauptmomente ein wenig eingehender schildern.

Ich beginne damit: Ich hatte Papa Gustav von unserem Mittagessen im Kurhaus erzählt und auch eingestreut, daß ich rund siebenhundertfünzig Mark verauslagte hätte.

Dies überhörte er –

„Nee, sind Sie ein nobler Kavalier, Bleihofchen,“ meinte er. „So eine Zeche! Na – ich revanchier’ mich gelegentlich –“

Hm – was ich für ein Gesicht zu dieser Äußerung machte, können Sie sich denken! Aber ich mußte still sein. Gestern hatte er mich ja eingeladen gehabt. Heute war ich eben dran gewesen –

Dann ging ich verabredungsgemäß nach dem Pensionat. Die drei Damen saßen im Garten. Vor ihnen stand eine Vierte sehr lange, sehr dünne und sehr erregt aussehende. Es war die Pensionsinhaberin Frau von Stöckritz, wie ich sofort erfuhr. Denn Frau Amalie schrie mir entgegen, und war dabei blaurot vor Wut:

„Herr von Bleihof, denken Sie sich, wir sollen für Bettwäsche noch wöchentlich vierzig Mark bezahlen! Denken Sie! Vierzig Mark! Nein – das jibt’s aber nich! Hier wird man ja bis aufs Blut ausgesogen. Das ist unerhört –!“

„Sie haben vier Zimmer gemietet – mit Frühstück, gnädige Frau,“ sagte die Stöckritz eisig. „Es ist hier in Schweineschwänzchen üblich, daß –“

Na – ich will diese Unterredung nicht näher anführen. Jedenfalls fiel Frau von Tschislow derart der vierzig Mark wegen aus der Rolle, daß die Pensionsinhaberin schließlich erklärte: „Nun gut, wenn Sie so mit dem Pfennig rechnen müssen, dann nehme ich von dieser Forderung Abstand.“

Auf der Veranda hatte sich inzwischen schon ‚Publikum‛ für dieses Schauspiel angesammelt. Ich kam mir vor wie ein Schieber-Genosse. Ich sah die grinsenden Gesichter, und ich schwor aufs Neue: „Nee – die Schwiegereltern wimmelst du dir gründlich ab!“

Die Redensart ‚mit dem Pfennig rechnen‛ war natürlich durch Frau Amalie dasselbe, wie für den Stier das rote Tuch. –

Was nun folgte, war noch furchtbarer. Es war nämlich die Aufzählung alles dessen, was Tschislows schon besaßen und mit Leichtigkeit noch besitzen konnten –

Evy-Lina und Ilse waren geflüchtet. Ich allein mußte als ‚intimer Freund‛ der Familie diese ekelhafte Szene mitmachen.

Und dann noch das größte Malheur! Kaum hatte die millionenschwere Frau von Tschislow der wirklich vornehmen Pensionsinhaberin zugekreischt, daß sie ‚den Dreck, die vierzig Mark!‛ haben sollte, als – Papa Gustav erschien –

Ich hatte bisher ja meist geschwiegen. Nun aber sollte ich Gustavchen bei dem Vortrag seines ‚Romans‛ zu Hilfe kommen. Frau Amelie hörte sich kaum drei Sätze an. Dann fuhr sie schon dazwischen:

„Was?! Ohnmächtig bist du beim Masseur geworden?! Das kannst du dir selbst erzählen! Du magst so dämlich sein, so was zu glauben –! Ich nicht –! Komm’ rauf! Sie auch, Herr von Bleihof, – Sie auch –!“

Um in dem Salon der Tschislows spielte sich der Rest ab. Frau Amalie kannte sich selbst nicht mehr. –

Sie witterte eheliche Untreue – Umsonst erhob ich die Schwurfinger und wollte einen halben Meineid leisten, daß die Gnädige auf falscher Fährte sei –

Jedenfalls: Es war gräßlich! –

Ich nahm dann plötzlich Hut und Stock und wollte verschwinden. Ich hatte genug – übergenug! Die ganzen Tschislows hatte ich satt – auch Ilse!

Aber – Frau Amalie war doch Diplomatin. Als sie merkte, daß ‚das Renommierstück‛, der Herr von Bleihof mit dem Monokel, auskneifen wollte, wurde sie ganz Lämmchen, ganz sanft –

Sie verzieh ihrem Gustav. Alles meinetwegen! –

Und um acht Uhr abends wollten wir uns dann wieder im Kurhaus treffen –

Ich sagte Ja und Amen – auch zu allem! Ich hatte schon mein Plänchen bereit, diese Gesellschaft loszuwerden –

Es war sechs Uhr, als ich total erschöpft heimging. Unterwegs dachte ich viel an Ilse. In meinem Herzen rührte sich wieder der Frühling. Konnte ich Ilse den Schmerz antun und – da war ich also wieder unsicher geworden. Ich bin stets mit allzu viel Gemüt belastet gewesen. Manche nennen das auch Waschlappigkeit.

Und als ich heim kam in mein Nepp-Quartier, lag da ein Brief für mich. Die Schnittlocher sagte, ein Junge hätte ihn gebracht –

Dieses Schreiben lautete:

Ich möchte’ Ihnen nur sagen, wenn Ihnen Ihre Knochen lieb sind, dann lassen Sie die Finger von Ilse Mudicke wej! Sie is meine Braut, und Sie ollen Dussel nimmt sie nur, weil die verrickten Alten so nen Appellfatzke als Schwiegersohn haben wollen. – Ein guter Freind

 

 

5. Kapitel

Meyer und Pumps.

Sie werden begreifen, meine Herrschaften, daß dieses Schreiben in mir recht sonderbare Gefühle auslöste.

Ich habe meine Knochen lieb. Und sie mir von diesem ‚guten Freund‛ kaputt schlagen zu lassen, dazu hatte ich verflucht wenig Lust.

Was tun?! –

Abreisen hatte ich wollen. Das war mein Plänchen gewesen. Um acht Uhr abends ging ein Zug nach Berlin. Den hätte ich gerade noch erreicht. Mutter Schnittlochen hätte gejubelt –

Aber – da regte sich bei mir wieder das ‚Jemüt‛. Ich ahnte plötzlich, wer der ‚gute Freind‛ war: Der hübsche Kellner aus dem ‚Splendid‛! Fraglos!

Ich überlegte. Und wie ich so überlegte, merkte ich, daß diese Liebe zu der holden Ilse doch auf Sand aufgebaut gewesen war und daß sie mehr nach ‚Mitgiftjäger‛ als nach zarten Empfindungen duftete –

Kurz: Ich blieb! Und um acht Uhr war ich in der Weinabteilung des Kurhauses, wo mir die Kellner als dem ‚Herrn Baron‛ schon entgegenstürzten.

Gleich nach mir kamen auch meine lieben Tschißlows –

Frau Amalie hatte wundervolle, dunkelrote Rosen vorgestreckt. – „Stück zwanzig Mark,“ flüsterte sie mir zu. „Von Gustav. Er hat gebeichtet –“

Na – alles hatte er sicherlich nicht gebeichtet! – Ich mußte wieder ein Menü komponieren; auch die Weine aussuchen. Ilse war noch immer grundlos ‚geknickte Rose‛. Weshalb – mußte ich jetzt ja –

Papa Gustav trug eine gewisse Feierlichkeit zur Schau. Und Frau Amalie nannte mich wiederholt ‚lieber Bleihof –‛ –

Ich ahnte nichts Böses. Nein – ich dachte an ganz andere Dinge als an meine eigene wertlose Persönlichkeit. Ich wollte ja Vorsehung spielen; bei Ilse, meiner heimlichen Braut, und deren heimlichem Bräutigam. –

Nicht wahr, die Sache ist etwas verzwickt. Ich gebe das zu. Aber es war doch nun mal so: Ilse hatte zweien ihr Jawort gegeben, dem ‚knochenzerschlagenden guten Freind‛ und mir –

Vorsehung spielen wollte ich. Das heißt: Die beiden sollten sich kriegen – mit meiner Hilfe! Aber wie das anstellen – wie?! –

Der Sekt kam. Der Oberkellner füllte die Kelche, verschwand –

Da blinzelte mir Papa Gustav mit seinen Schweinsäuglein listig zu – Totenstille entstand am Tisch. Die Musik spielte gerade den französischen Walzer ‚Wenn die Liebe stirbt –‛

„Na, Bleihofchen, haben Sie mir jar kein familiäres Geheimnis mitzuteilen?“ meinte er –

Ich kriegte einen Mordsschreck –

„Ilse hatte vormittags wieder so verruscheltes Haar,“ fügte Frau Amalie hinzu. „Wernerchen – also man raus mit ‛n Antrag. Ilse hat schon gebeichtet –“

Heiliger Bimmstengel! Das war ja allerliebst! –

Was sollte ich nun machen?! Ich bin doch sonst nicht jrade auf ‛n Kopp jefallen – aber damals in dem scheußlichen Momang litt ich an völligem Gehirnschwund und stammelte deshalb –

„Wenn – wenn Sie ‛s schon wissen, dann –

Das genügte! Der gezückte elterliche Segen prasselte auf mich herab.

„Du bist uns als Schwiegersohn herzlich willkommen,“ sagte Gustavchen und streckte mir die Hand über den Tisch hin. – Duzen hat er mich auch schon!

Und Frau Amalie zwitscherte: „Sehr willkommen bist du uns, Wernerchen, sehr!“

Dann stießen wir miteinander an. Ich saß wieder neben Ilse. Und ich mußte Ilse nun doch mindestens heimlich die Hand drücken –

Nun war ich also verlobt! Na – wenn jedem Brautpaar in den ersten drei Stunden nach seiner Verlobung so zu Mute ist wie mir damals, dann tun mir alle Bräutigämmer ehrlich leid!

Ich handelte wie ein Automat. Ich redete, trank, trank, aß, redete – und dachte immer nur an meine armen Knochen, die mir der Nebenbuhler –

Ah – ein Hoffnungsstrahl! Soeben hatte Frau Schwiegermütterchen geflötet:

„Wernerchen, setz’ doch mal gleich für die Zeitungen eine Verlobungsanzeige auf – hier hast du Papier –“

Und da – da kam der Hoffnungsstrahl wie ein Leuchtfeuer in pechschwarzer Nacht. Richtig: Ich hieß ja gar nicht Werner von Bleihof! Und – ich konnte meine teuren neuen Angehörigen darüber doch nicht länger im unklaren lassen! Ich hieß ja Hugo Darm, und meine Freunde nannten mich Därmchen, auch Blinddärmchen –!

Darm hieß ich! Dem Himmel sei Dank: Darm! Und einen Darm würden Tschißlows sofort als unappetitlich zurückweisen –

Ich setzte mich sehr gerade, klemmte das Monokel fester. Sagte leicht näselnd:

„Übrigens noch ‛ne Kleinigkeit, meine Lieben. ‚Werner von Bleihof‛ ist nur mein Pseudonym als Schriftsteller. Natürlich darf ich mich nur so nennen, wenn es sich um inoffizielle Dinge handelt. Verloben und heiraten muß ich mich unter meinem richtigen Namen –“

Grabesstille am Tisch. Dann Ilse Stimme:

„Und der Name ist?“

„Hugo – Hugo Darm – – D – a – r – m – – Darm.”

Grabesstille – dann Frau Amalies Stimme: „Sie – Sie sind ja ‛n janz jemeiner Hochstapler –!“

Ach – ich hätte ihr um den Hals fallen können! Jemeiner Hochstapler! Was wollte ich mehr?! Das war übergenug – übergenug –

Ich erhob mich, verbeugte mich sehr knapp, sagte leise:

„Der Darm zieht sich für immer zurück. Auf Nimmerwiedersehen und Nichtmehrkennen –!“

Stolz wie drei Spanier stelzte ich ab –

Ah – da saßen ja am andern Ende des Saales Gitschiner und Mamloch –! –

Ich steuerte auf sie zu.

„Guten Abend. Gestatten –“ –

Ich nahm ohne weiteres Platz. –

Die beiden musterten mich eisig. Dann sagte Gitschiner: „Herr Darm, wir sind leider gezwungen aufzustehen und wegzugehen, wenn Sie hier an unserem Tisch bleiben. Sie sind nicht mehr – verkehrsfähig.“

„Weiß schon,“ nickte ich. „Der Tschißlows wegen. Das ist vorbei. Die Gnädige hat mich soeben Hochstapler genannt, und da konnte ich den Rückzug antreten. Erlauben Sie, daß ich eine Flasche Sekt schmeiße. Ich will meine wiedererlangte Freiheit begießen –“

Na – da wurden die beiden höflicher. Nicht von wegen dem Schampus! Nein – weil ich mit Tschißows gebrochen hatte.

Gitschiner erzählte nun: Tschißlow alias Mudicke hatte 1917 zum ersten Mal als Schieber sechs Monate gehabt. Gefängnis. –

1918 hatten sie ihn wieder gefaßt. Da hätte er mindestens sechs Jahre gekriegt. Untersuchungshaft saß er schon vier Monate. Während der Revolutionstage verschwanden jedoch die Akten, und die Zeugen waren nachher nicht mehr aufzutreiben.

„Der Halunke hat Unglaubliches auf dem Kerbholz,“ meinte Gitschiner zum Schluß. „Man schätzt ihn jetzt auf vierzig Millionen. Aber mindestens ebenso viel hat er im Ausland.“ –

Tschißlows verließen sehr bald das Kurhaus. Ich ging nachher noch nach dem Cafee ‚Splendid‛.

Hier nahm ich mir den hübschen Kellner vor. Wir verabredeten uns nach Lokalschluß in der ‚Alosch-Diele‛.

Der junge Mensch hieß Erwin Pumps und war ein Jugendgespiele Ilses. Sie liebten sich über alle Maßen. Aber seit Mudickes reich gewordenen, hatte man Ilse stets scharf überwach.

Das und noch mehr erzählte er mir in der ‚Alosch-Diele‛. Auch Meyer mit ‛m ‚y‛ war wieder da. Daß Meyer ‚in Likör machte‛, habe ich schon erwähnt. Kein Wunder also, daß er Geist hatte –!

Er war es, der dann den verruchten Plan ausknobelte, die Mädels zu entführen. Denn auch er liebte Evi-Lina noch immer. Und offenbar war er auch nur ihretwegen nach Schweineschwänzchen gekommen. Gestern hatte er sich wohl gescheut, mir in allem die Wahrheit zu sagen –

Wir begossen den feinen Plan noch bis vier Uhr morgens. Erwin Pumps war trotz des schauerlichen Namens ‚Pumps‛ ein netter Kerl. Er gestand, daß er hinter dem Strandhafer gelegen hätte. Und beinahe wäre er da vor Eifersucht zum Mörder geworden –

Eigentlich ist meine Geschichte, was mich betrifft, nun bereits zu Ende.

Der Leser wird doch aber noch wissen wollen, was aus der Entführung wurde.

Nun: sie wurde! Und zwar am nächsten Vormittag elf Uhr per Mietauto nach Stettin, wo die beiden liebenden Paare im selben Hotel als Herr und Frau Meyer und Herr und Frau Pumps abstiegen.

Drei Tage drauf kriegte ich von ihnen eine Ansichtskarte: Sie hatten sich alle vier photographieren lassen.

Auf der Karte stand:

Dieselbe Ansicht haben die lieben Eltern erhalten, die uns nun ja schon durch die Polizei suchen lassen. –

Herzliche Grüße

Evi, zukünftige Meyer

Ilse, zukünftige Pumps

Diese Karte traf morgens ein. Zwei Stunden später begegnete ich Herrn Gustav von Tschislow auf der Promenade, wollte ohne Gruß an ihm vorüber, wurde jedoch von ihm gestellt und in höflichster Form gefragt, ob ich Ilse nicht doch heiraten wolle –

Ah – ich begriff: Jetzt war ihnen der Darm doch lieber als der Pumps!

„Herr,“ sagte ich eisig wie der Nordpol, „wenn Sie mich noch ein einziges Mal ansprechen, dann – erleben Sie was!“ –

Ich habe Gustav und Amalie seitdem nicht wiedergesehen. Sie verdufteten damals aus Schweineschwänzchen. Aber gehört habe ich viel von ihnen –

Frau Amalie ist schwer zuckerkrank. Gustav befindet sich seit Monaten in einer Trinkerheilanstalt. Sein Schwiegersohn Meyer leistet ihm dort seit vier Wochen Gesellschaft. Evi-Lina will sich jetzt von ihm scheiden lassen.

Herr und Frau Pumps sind glücklich miteinander geworden und haben Zwillinge.

Ich dagegen habe noch nicht mal eine Frau. Mutter Schnittlochen kocht so gut, daß ich für die Ehe eigentlich auch schon zu fett bin.

Schweineschwänzchen sieht mich nie mehr wieder, Xaver Schulze hat jetzt ein ganz kleines Ostseebad entdeckt, in dem man in Badehosen direkt von Hause an den Strand gehen darf. Dorthin fahren wir dieses Jahr. Vielleicht finde ich da eine Frau –

Unglück schläft nicht –

 

 

Fußnoten:

[1] Chemisette: Hemdbrust

[2] Glaubersalz enthaltendes Heilwasser (abführend)

[3] „Deine weißen Lilienfinger“ - Text von Heinrich Heine